E.2: Staaten unter Handlungsdruck

Die intensive Globalisierung von Diabetes hat komplexe Ursachen, wie aufgezeigt wurde. Für die Prävention ist staatliches Handeln auf vielen Feldern möglich und auch erforderlich. Wie die Beispiele Städtebau und Tabakkontrolle deutlich machen, gilt dies auch in Bereichen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht direkt mit der Krankheit in Verbindung gebracht werden.

 

Stadtplanung

Eine gute Stadtplanung kann das Gehen, Fahrradfahren und andere Formen nicht-motorisierter Fortbewegung fördern und sicherer machen. Ebenso müssen Freizeitmöglichkeiten geschaffen werden, die für alle eine sichere Umgebung bieten - sei es vor Unfällen oder körperlicher Gewalt in der Öffentlichkeit.

 

Quelle Foto: Wikimedia  /  nati_fg  /  Creative Commons Attribution 2.0 Generic

 

Vor allem in Lateinamerika hat sich eine Maßnahme verbreitet, um öffentlichen Raum zeitweise für sportliche Aktivitäten der Bevölkerung zu sichern – die so genannten Ciclovías (Spanisch für Radwege). Dafür werden zumeist an Wochenenden Straßen abgesperrt, so dass Menschen das Rad nutzen oder joggen können. Zugleich werden öffentliche Fitnesseinheiten angeboten und es gibt Unterhaltungsprogramme, die zu mehr körperlicher Aktivität anregen. Die Stadtregierung Bogotás setzte bereits in den 1970er Jahren auf dieses Mittel, heute gibt es ähnliche Ansätze weltweit, etwa in Ecuador, Guatemala und Indien.

 

Quelle Foto: Shutterstock  /  Oxana Mamlina  / Shutterstock Standardlizenz

 

Rauchen

Rauchen erhöht das Diabetes-Risiko deutlich. Eine wichtige Rolle im staatlichen Kampf gegen Diabetes kommt entsprechend dem Umgang mit Tabakprodukten zu. Genau wie viele Nahrungsmittelkonzerne drängen auch Tabakfirmen verstärkt auf neue Märkte in Ländern des globalen Südens. Tatsächlich lässt sich in Teilen Asiens ein steigender Anteil an RaucherInnen beobachten. Ähnliches gilt für Afrika, etwa in Ländern wie dem Kongo, Lesotho oder Mauretanien. Die WHO gibt an, dass mittlerweile fast 80% der Tabakkonsumenten weltweit in Ländern geringen und mittleren Einkommens leben. Gleichzeitig ist es für viele der betroffenen Regierungen sehr schwer, eine effektive Umsetzung der globalen Reduktionsziele zu gewährleisten, wie Studien zeigen (mehr).

 

Wie unterschiedlich die Ansätze von Staaten bei der Reaktion auf steigende Diabetes-Raten sind, zeigen drei Fallbeispiele. Sie betreffen die Bereiche Ernährung sowie das Management bei Komorbiditäten wie Tuberkulose und das Management von Komplikationen.

Fragen zu Kapitel E.2

Länderstudie: Chile

Präventionspolitik

Gesunde Lebensmittel und Getränke sollten eigentlich bezahlbar und für alle zugänglich sein. Die Dynamiken im globalen Süden deuten jedoch augenblicklich eher in eine entgegengesetzte Richtung. Als relativ neuer Faktor treten dabei große Supermärkte auf, die sich zunächst in Lateinamerika und Asien verbreiteten und mittlerweile auch in afrikanischen Ländern Fuß fassen. Das günstig angebotene Essen ist dabei oft stark verarbeitet, die Getränke haben einen hohen Zuckeranteil. Einige große Firmen bauen zudem gezielt in ärmeren Communities Netzwerke auf, um ihre Produkte direkt an der Haustür zu verkaufen (mehr).

 

Quelle Foto: Pixabay  /  igorovsyannykov  /  CC0 Creative Commons

 

Mehrere von Diabetes besonders stark betroffene Staaten haben daher in den letzten Jahren begonnen, die Preise für bestimmte fettige, zucker- und salzhaltige Nahrungsmittel und Getränke zu erhöhen. So führte Mexiko 2014 eine 10%ige Steuer auf stark zuckerhaltige Getränke ein. Noch im gleichen Jahr ging der Verkauf ebensolcher Produkte um 5,5% zurück, im Folgejahr um weitere 9,7%. Die höchste Abnahme verzeichneten dabei sozioökonomisch schwache Haushalte. Gerade jene stellen in vielen Ländern die meisten Konsumenten von Fast Food und leiden zugleich am stärksten unter den gesundheitlichen Folgen.

 

Quelle Karte: Shutterstock  /  Peter Hermes Furian  / Shutterstock Standardlizenz

 

Als besonders ambitioniert in der Prävention gilt der Ansatz Chiles. Wie viele seiner Nachbarn kämpft der Andenstaat mit hohen Raten von Übergewicht und Diabetes, auch bei Kindern und Jugendlichen.

Das aktuelle Vorgehen kombiniert verschiedene Instrumente. Zum einen sind  Warnhinweise auf verpackten Waren gesetzlich vorgeschrieben, zum Beispiel bei hohem Zuckeranteil. Entsprechende Lebensmittel dürfen nicht mehr in Vor- oder Grundschulen verkauft oder beworben werden. Auch dürfen sie nicht mehr kostenlos ausgeteilt (etwa als „Kostprobe“) oder für Kinder unter 14 Jahren beworben werden. Des Weiteren sind begleitende Extras verboten worden, wie Preisausschreiben oder Spielzeug. Außerdem hob der chilenische Staat den Steuersatz für stark zuckerhaltige Getränke an, Abgaben für gering zuckerhaltige Produkte wurden gesenkt.

 

Diese politischen Regulierungsprozesse hatten ihren Ausgangspunkt bereits 2007. Sie stießen allerdings auf derart massiven Widerstand aus Teilen der Wirtschaft, dass erst 2016 eine finale Reform verabschiedet wurde. Laut Industrieangaben sind rund ein Fünftel der in Chile verkauften Produkte mittlerweile in der Rezeptur verändert worden, um Kennzeichnungen und Steuerbelastung zu entgehen.

Fragen zur Länderstudie Chile

Länderstudie: Malawi

Management von Komorbiditäten

Quelle Karte: Shutterstock  /  Peter Hermes Furian  /  Shutterstock Standardlizenz

Diabetes steht im engen Bezug zu häufigen Infektionskrankheiten, wie Modul B gezeigt hat. Zugleich können Lehren aus deren Bekämpfung auch für nicht-übertragbare Krankheiten gezogen werden. Ein erfolgreicher Ansatz, DOTS genannt, wurde von der WHO ab 1994 und ursprünglich als Konzept zur Tuberkulose-Kontrolle angewandt. Er basiert auf fünf Kernprinzipien:

 

  • nachhaltiges politisches und finanzielles Engagement durch den Staat,
  • qualitätsgesicherte Diagnostik,
  • standardisiertes Behandlungsprotokoll,
  • unterbrechungsfreie Versorgung mit Medikamenten,
  • standardisiertes Monitoring und Informationsaustausch zwischen Gesundheitseinrichtungen.

 

Alle diese Faktoren sind auch für die Diabetes-Versorgung relevant. Dass DOTS auch bei chronischen Erkrankungen Vorteile bieten kann, hat bereits die Ausweitung des Konzepts auf die Behandlung gegen HIV/Aids gezeigt.

Im Jahr 2009 startete das Queen Elizabeth Central Hospital im malawischen Blantyre ein auf DOTS-Grundsätzen basierendes Programm für seine Diabetes-PatientInnen. Blantyre ist die zweitgrößte Stadt des Landes und hat eine wichtige Versorgungsfunktion für den ländlichen Raum.

 

Quelle Foto: Pixabay  /  Graham-H  /  CC0 Creative Commons

 

Krankenschwestern wurden speziell für die Diabetesversorgung ausgebildet sowie Protokolle und Richtlinien für Diabetesmanagement eingeführt. Ebenso baute man ein elektronisches System für Patientenakten auf. Die Klinik wurde in der Folge zweimal wöchentlich geöffnet. Am Morgen wurde jeweils der Blutzucker gemessen. Bei auffälligen Werten fanden im Laufe des Tages Konsultationen mit FachärztInnen statt. Die Versorgung erfolgte kostenlos, PatientInnen bekamen zudem für die kommenden Monate Medikamente.

Um Spätfolgen des Diabetes frühzeitig zu erkennen bzw. zu behandeln, wurden mindestens einmal pro Jahr Urintests gemacht, ebenso Untersuchungen der Netzhaut. Alle PatientInnen wurden zusätzlich gebeten, sich auf HIV testen zu lassen. Sie erhielten darüber hinaus sogenannte „Health Passports“ die sämtliche Informationen zur Gesundheit sowie Untersuchungstermine verzeichneten. Durch einfach zu bedienende Systeme mit Touchscreen wurden Datensätze aller PatientInnen gesammelt, ausgewertet und zum Austausch über Netzwerke aufbereitet.

Trotz einiger Anfangsprobleme konnte das DOTS-Programm eine umfangreichere Information der Diabetes-PatientInnen und einen verbesserten Zugang zu Behandlung erzielen.

Fragen zur Länderstudie Malawi

Länderstudie: Indien und Andere

Komplikationsmanagement

Quelle Foto: Pixabay  /  NinaMarie  /  CC0 Creative Commons

 

Der diabetische Fuß ist besonders im globalen Süden eine häufige und folgenreiche Komplikation. Aufgrund des hohen Bedarfs an effektiven Gegenmaßnahmen wurde 2004 das so genannte Step-by-Step-Programm als zweijähriges Pilotprojekt in Tansania, Indien, Sri Lanka, Nepal und Bangladesch gestartet. Es ging hervor aus einer Zusammenarbeit der International Working Group on the Diabetic Foot, der Diabetic Foot Society of India (DFSI) sowie des Muhimbili University College Of Health Sciences Dar es Salaam (MUCHS).

Hauptziel des Ansatzes war es, die Situation bei der Pflege diabetischer Füße zu verbessern und so Amputationen zu vermeiden. Im Fokus stand die Schulung von DiabetikerInnen sowie von Gesundheitspersonal zu Prävention und Behandlung. Darüber hinaus sollte allgemein das Bewusstsein für Komplikationen  gestärkt werden.

In den beteiligten Ländern fanden zunächst Trainingskurse für das Gesundheitspersonal statt, das noch nicht mit dem Thema vertraut war. Die Lehrgänge beinhalteten u.a. adäquate Diagnostik, grundlegende Fußpflegepraktiken wie das Schneiden von Nägeln und Entfernen von Hornhaut sowie die richtige Untersuchung des Fußes. Es wurden zusätzlich Bildungsmaterialien zur Anwendung in Kliniken bereitgestellt und die TeilnehmerInnen angehalten, ihr Wissen vor Ort aktiv weiterzugeben. Einige Länder erweiterten nach einiger Zeit die Zielgruppen der Kurse, so wurden etwa zusätzlich Chirurgen weitergebildet.

In Tansania konnte nachgewiesen werden, dass das Step-by-Step-Programm nachhaltig wirkte. So verringerte sich die Anzahl von Amputationen wie auch Komplikationen deutlich. Für die anderen vier Länder des Pilotprojektes zeigten sich ebenfalls viele positive Ergebnisse. Aus diesem Grund wurde der Ansatz unter anderem in Ägypten, Botswana, Kenia, Pakistan und den Britischen Jungferninseln ebenfalls ein Bestandteil der Gesundheitsversorgung.

Aufbauend auf dem großen Erfolg, wurde 2012 das sogenannte Train the Trainer-Programm gestartet. Dieses zielte speziell auf den Austausch von Know-How zwischen Gesundheitspersonal aus verschiedenen Ländern innerhalb einer Region ab. Eine entsprechende Veranstaltung fand auch 2015 in Slowenien statt. Damit war das Konzept ausgehend vom globalen Süden in den globalen Norden überführt worden.

 

Fragen zur Länderstudie Step-by-Step Kapitel E.3