D.4 Unkontrollierte Märkte

In den meisten Ländern gibt es keine Rezeptpflicht für Medikamente, oder sie wird nicht konsequent durchgesetzt. Eine Bestandsaufnahme 2011 ergab, dass weltweit antimikrobielle Medikamente ohne Verschreibung angewendet werden. Dabei zeigten sich große Unterschiede: Niederlande 3%, Indien 18%, Spanien 19%, Rumänien 30%, Brasilien 46%. Sudan und Nigeria lagen bei 100%, eine Kontrolle des Arzneimittelmarktes fehlt dort also völlig. In Saudi-Arabien haben WissenschaftlerInnen 327 Apotheken untersucht. Sie schickten in jede Apotheke zwei Testpersonen. 78% der Apotheken verkauften die Antibiotika ohne eine Verordnung gesehen zu haben, 95% dieser Antibiotika wurden abgegeben, ohne dass die Testpersonen darum gebeten hätten. Risiken wurden völlig unzureichend berücksichtigt: In keiner der untersuchten Apotheken erkundigte man sich nach Allergien und nur bei 23% fragten die ApothekerInnen nach, ob die Testperson schwanger ist.

 

Schaufenster einer Apotheke in Mexiko: Hier werden Antibiotika günstig angeboten.

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Fallbeispiel: Brasilien

 

Mit über 60.000 Drogarias ist Brasilien das Land mit den meisten Apotheken der Welt. Doch die Überwachung des Handels mit Arzneimitteln ist mangelhaft, gravierende Lücken zeigt vor allem die Kontrolle der privaten Drogarias. Zwar ist eindeutig festgelegt, welche Arzneimittel freiverkäuflich sind und für welche ein Rezept nötig ist, doch diese Vorschriften werden häufig nicht beachtet. So können VerbraucherInnen selbst Mittel gegen Bluthochdruck oder Diabetes, aber auch Antibiotika ohne Verschreibung einkaufen. Außerdem ist in den privaten Dorgarias häufig keine ApotherkerIn anwesend, obwohl auch dies gesetzlich vorgeschrieben ist.

Unkontrollierter Verkauf fördert auch die unsachgemäße Selbstmedikation. Problematisch ist der Verkauf durch unqualifizierte Händler – das können Straßenhändler sein oder auch Apotheken mit unzureichend ausgebildeten Personal. Die eigentlich notwendige Diagnostik fehlt in solchen Fällen völlig.
Ebenso problematisch ist der weit verbreitete Verkauf einzelner Tabletten oder 1-Tages-Therapien. Wenn aufgrund finanzieller Knappheit nur wenige Tabletten gekauft werden, wird die therapeutisch erforderliche Dosis nicht erreicht. Die Keime werden nicht vollständig abgetötet und die Infektion kann nicht ausheilen. In der Folge können sich Resistenzen bilden.

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Antibiotika-Spenden


Immer wieder kommt es vor, dass besonders in humanitären Notfallsituationen Arzneimittel gespendet werden. Hierunter finden sich auch häufig Antibiotika. Das ist problematisch, denn der Beipackzettel – wichtige Informationsquelle für Anwendungshinweise – ist nicht in der Landessprache verfasst und kann somit weder vom Gesundheitspersonal noch von den PatientInnen verstanden werden. In Folge kann es zu Verschreibungs- und Anwendungsfehlern kommen. Aber auch außerhalb dieser Ausnahmesituationen kommt es immer wieder zu Arzneimittelspenden durch etwa internationale Organisationen. So berichtete das Sudan Journal of Rational Use, dass für ein Krankenhaus Antibiotika der dritten Generation gespendet wurden. Die Spende führte dazu, dass plötzlich die sonst für ausgewählte Krankheitsfälle vorgesehenen Medikamente plötzlich wahllos verschrieben wurden. Zudem handelte es sich um injizierbare Antibiotika. Diese Darreichungsform kann in ambulanten Versorgungssituationen ohne fachliche Begleitung in der Anwendung aber selbst zu Infektionen führen.

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Maßnahmen gegen Fehlgebrauch: Indien

Die Situation in Indien ist von zwei gegensätzlichen Extremen geprägt: Zum einen wächst der Arzneimittelmarkt enorm – innerhalb von vier Jahren verdoppelte sich der Umsatz mit Antibiotika. 80% der Ausgaben im Gesundheitssystem werden von den PatientInnen privat bezahlt. Zum anderen sterben viele Menschen, da sie keinen Zugang zu notwendiger Gesundheitsversorgung einschließlich Antibiotika haben.

Jährlich sterben 215.000 Kinder unter 5 Jahren an zwei bakteriellen Krankheitserregern, die eigentlich gut zu behandeln wären (Streptococcus pneumoniae, kann u.a. Lungenentzündung verursachen;  Haemophilus influenzae Hib, kann u.a. Meningitis, Mittelohrentzündung oder Lungenentzündung auslösen).

Um den Fehlgebrauch von Antibiotika zu reduzieren wurde 2012 mit der Chennai Declaration ein umfangreiches Konzept entwickelt. Dabei wurden Regierung, Fachorganisationen, NGOs und anderen Akteuren Aufgaben zugeteilt. So hat die indische Regierung im März 2016 insgesamt 63 Arzneimittel verboten, die Kombinationen von Antibiotika mit anderen Wirkstoffen enthielten. Solche sogenannten fixed-dose combinations werden von der WHO häufig als irrationale Medikamente klassifiziert.

 

 

2016 hat die indische Regierung zusätzlich eine Kampagne gestartet, um die Öffentlichkeit für einen umsichtigen Antibiotika-Gebrauch zu sensibilisieren. „Medicines with the red line“. Antibiotika-Packungen werden mit einem roten Streifen markiert. Plakate und Anzeigen weisen darauf hin, dass man „die mit der roten Linie“ nicht ohne ärztliche Verschreibung kaufen sollte. Zudem entwickelt Indien zurzeit ein Gesetz, dass den Verkauf von Antibiotika ohne Rezept unter Strafe stellt.

 

 

 

Frequency of non-prescription use of antimicrobials in the general population based on published works. Prozentsatz an Antibiotika die eingenommen werden, ohne dass sie von ÄrztInnen verordnet wurden.

 

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