A.3 Bevölkerungspolitik

Reproduktive Rechte und Bevölkerungspolitik

Stichworte: Internationales Jahr der Frau  | Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung | ICPD Beyond 14 |Weltfrauenkonferenz Peking| Zwangssterilisation | Indigene | Demografische Ziele | Sexuelle Rechte

 

Frauenrechte

Mit einem Internationalen Jahr der Frau 1975 lenkten die Vereinten Nationen die Aufmerksamkeit auf die besonderen Belange und Bedürfnisse von Frauen sowie auf die tägliche Verletzung von Frauenrechten. Im gleichen Jahr verabschiedete die erste Weltfrauenkonferenz die "Erklärung von Mexiko über die Gleichheit der Frauen und deren Beitrag zu Entwicklung und Frieden" sowie einen umfangreichen Aktionsplan zur Verbesserung der Stellung der Frau.

Auf der 1994 von den Vereinten Nationen einberufenen Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (International Conference on Population and Development / Kairo-Konferenz = ICPD) in Kairo formulierte die Staatengemeinschaft erstmals ein Recht auf reproduktive Gesundheit. Speziell für Mädchen und Frauen wurden außerdem Gendergerechtigkeit und Empowerment gefordert.
Seitdem steht das Recht aller Menschen auf umfassendes Wohlergehen in allen Belangen von Sexualität, Familienplanung, Schwangerschaft und Geburt im Mittelpunkt. Das Programm der Kairo-Konferenz sah vor, bis zum Jahr 2014 allen Menschen Zugang zu Sexualaufklärung, Empfängnisverhütung und Familienplanung, zum Schutz vor HIV und AIDS sowie zur Gesundheitsversorgung bei Schwangerschaft und Geburt zu ermöglichen. Es standen damit Maßnahmen im Mittelpunkt, die von den individuellen Bedürfnissen von Frauen und Männern ausgehen. Einige Forderungen der Kairo-Konferenz fanden zudem Eingang in die 2000 formulierten Millennium-Entwicklungsziele (siehe A.5). Viele bezeichneten das Aktionsprogramm deshalb als historischen Meilenstein, nicht nur für die Bevölkerungs- und Entwicklungspolitik, sondern vor allem auch für die Rechte der Frauen.

20 Jahre nach Kairo bestätigte die ICPD Beyond 2014: Grundlegend für eine nachhaltige Entwicklung ist die Förderung individueller Rechte, Fähigkeiten und Würde zeitlebens und in allen Lebensbereichen. 


Ebenso wegweisend war 1995 die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking. Mit einem Forderungskatalog, der von 189 Staaten und Nichtregierungsorganisationen ausgearbeitet wurde, verpflichteten sich Staaten, insbesondere die Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen der Gesellschaft (d.h. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft) zu fördern. Sie verpflichteten sich außerdem, die Rechte der Frauen zu schützen, Armut von Frauen zu bekämpfen, Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung zu verfolgen und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gesundheitsversorgung und im Bildungssystem abzubauen.

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Bevölkerungspolitik

Im Aktionsprogramm von Kairo rückte die Staatengemeinschaft von repressiver Bevölkerungspolitik ab. Fortan sollte es keine abstrakten demografischen Vorgaben mehr geben, die Bevölkerungsentwicklung nach Plan von oben herab verordnen (z.B. durch Zwangssterilisation). Trotz dieser Beschlüsse führte Peru aber noch Mitte der 1990er Jahre ein Nationales Programm zur Familienplanung durch, das dazu dienen sollte, in armen Bevölkerungsschichten die Geburtenrate zu reduzieren. Im Zuge dessen wurden in Peru zwischen 1996 und 2000 rund 300.000 Frauen und 22.000 Männer zwangssterilisiert, vor allem Indigene und arme Bäuerinnen und Bauern. In Indien werden noch heute Massensterilisationen durchgeführt, für die in ländlichen Regionen massiv geworben wird. Im Fokus der staatlichen Bevölkerungspolitik stehen auch hier vor allem Frauen aus armen und unterprivilegierten Familien ohne Landbesitz (Dalit, Adivasi etc.). Die Nationale Gesundheitsmission nennt sogar Planzahlen für die Durchführung von Sterilisationen. Für 2014/2015 waren 150.000, für die Folgejahre sind 175.000 – 190.000 Sterilisationen budgetiert. Weil jedoch weder das vorhandene Fachpersonal noch die technische Ausrüstung der Krankenhäuser ausreichen, um diese Planzahlen zu erfüllen, werden Frauen in provisorisch eingerichteten Sterilisations-Camps zu Hunderten von nur einem einzigen Arzt im Akkord operiert. Eine angemessene Nachversorgung ist ebenso wenig gewährleistet wie sterile Arbeitsgeräte oder die Einhaltung sonstiger Operationsstandards.

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Bevölkerungspolitik kann, abhängig von den demografischen Zielen eines Staates sowohl die Verminderung als auch die Anhebung der Geburtenrate bezwecken. Je nach Altersstruktur einer Bevölkerung und dem wirtschaftlichen Nutzen, der sich durch eine Veränderung dieser Altersstruktur erzielen ließe (Demografische Dividende), werden unterschiedliche Technologien politisch gefördert. (z.B. Sterilisationen als dauerhafte Verhütungsmethode oder Programme gegen ungewollte Kinderlosigkeit). Staatliche demografische Ziele und individuelle Selbstbestimmungsrechte von Männern und Frauen stehen also zumindest in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander.
Heute taucht der Begriff Bevölkerungsdynamik in vielen nationalen und internationalen Entwicklungsprogrammen auf. Solche Programme wollen an den Ursachen bestimmter demografischer Trends ansetzen und Einfluss auf die Entwicklung eines Landes nehmen. Vorsicht ist dann geboten, wenn sich bevölkerungspolitische Maßnahmen ausschließlich auf besonders verletzliche Gruppen und singulär auf die Reduzierung der Geburtenrate richten. Hier könnten reproduktive Rechte von Männern und Frauen massiv eingeschränkt sein.

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Sexuelle Rechte

Sexuelle Rechte sind im Kairoer Aktionsprogramm nicht enthalten. Das Konzept der sexuellen Selbstbestimmung der Frau wurde erst im Aktionsprogramm zur Weltfrauenkonferenz 1995 festgeschrieben. Da die Definition sexueller Rechte eng mit den kulturellen Gepflogenheiten eines Landes zusammenhängt, konnte sich die internationale Gemeinschaft bis heute nicht auf eine gemeinsame Definition dieser Rechte einigen.
Die WHO versteht unter sexuellen Rechten die Möglichkeit, die eigene Sexualität einvernehmlich mit dem Partner oder der Partnerin frei von Diskriminierung und ohne gesundheitliche und rechtliche Risiken leben zu können – unabhängig von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung. Als Bestandteil sexueller Rechte sollte außerdem jeder Mensch frei darüber entscheiden können, ob, wann und mit wem er eine Ehe eingehen möchte und ob Kinder und wenn ja, wie viele, gewollt sind. Auch die körperliche Unversehrtheit, insbesondere das Verbot von Genitalverstümmelung und sexueller Gewalt ist Bestandteil sexueller Rechte.

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Fragen zu Kapitel A.3 Kapitel A.4