E.4: Strukturelle Prävention

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Strukturelle Prävention oder Verhältnisprävention zielt auf Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Dies kann z.B. beinhalten, schädliche Gesetze und Policies zu ändern, kontraproduktive soziale Normen zurückzudrängen und Empowerment von Individuen und Gemeinschaften zu erreichen. Wir zeigen hier eine Auswahl an Ansatzpunkte für Ihre Arbeit.

Entkriminalisierung

Kriminalisierung kann Menschen in das soziale Abseits treiben, sie anfälliger für Risiken und schwerer erreichbar für Hilfe machen. Sie bremst in vielerlei Form die globalen Bemühungen gegen HIV. Am offensichtlichsten ist dies bei Gesetzen, die direkt den HIV-Status von Menschen betreffen. 2019 stellte der dritte Advancing HIV Justice-Report fest, dass in 75 Ländern Gesetze in Kraft sind, die eine Form von HIV-Kriminalisierung beinhalten (mehr).

Manche Ausprägungen von Kriminalisierung betreffen bestimmte HIV-Schlüsselgruppen besonders massiv, z.B. Menschen in der Sexarbeit, Drogennutzende oder MSM. So sind etwa Verbote homosexueller Handlungen vor allem in Teilen Osteuropas und im globalen Süden noch stark verankert, oft durch Gesetze aus Kolonialzeiten. In über der Hälfte der Länder südlich der Sahara ist Homosexualität strafbar. Es gibt Gegenden, in denen die Todesstrafe darauf steht. Rechtliche Grauzonen sind zudem weltweit häufig.

Doch es gibt auch positive Entwicklungen. So kippte bspw. Angola 2019 nicht nur sein Gesetz gegen Homosexualität, sondern verbot sogar allgemein die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung (mehr). In Asien wiederum sorgte Indien 2018 für positive Schlagzeilen, wo ein Beschluss des Obersten Gerichtshofes ein Kolonialgesetz abänderte, das homosexuellen Geschlechtsverkehr unter Strafe stellte. Die Richter befanden, die Regelung sei „irrational, willkürlich und nicht nachvollziehbar“, da sie die rechtliche Gleichstellung der LGBT-Community verhindere (mehr).

Ökonomisch-orientierte Ansätze

Einkommen und Wohnsituation können direkten Einfluss auf die Gefährdung von Menschen durch HIV haben. Aus dieser allgemeinen Beobachtung heraus speist sich eine Vielzahl struktureller Ansätze.

Ein Beispiel sind Cash-Transfer-Programme, die Teilhabe und Empowerment ermöglichen. Im HIV-Bereich findet dieses Instrument schon länger Anwendung. Auch in der Tuberkulose-Bekämpfung gibt es entsprechende Vorhaben (mehr). Vor allem für Mädchen und Frauen angeboten, sollen die gravierenden Konsequenzen von Geschlechterungerechtigkeit abgefedert und z.B. das erhöhte HIV-Risiko durch „transactional sex“ oder frühen Schulabbruch vermindert werden.

HIV-positive Menschen erfahren oft auch dadurch Stigmatisierung, dass sie als „unproduktiv“ oder als „wirtschaftliche Belastung“ wahrgenommen werden oder weil es ihnen nicht möglich ist, bestimmte soziale Rollen auszufüllen, die ökonomisch konnotiert sind (etwa „Ernährer der Familie“) (mehr). Programme, die Arbeitsmöglichkeiten schaffen, können hier gegensteuern, wie bspw. eine Studie aus dem ländlichen Kenia verdeutlicht (mehr). Dabei wurden Menschen mit HIV Kredite gewährt und sie zugleich in landwirtschaftlichen Techniken und Verkauf geschult. Obwohl die Verminderung von Stigma kein direktes Ziel der Maßnahme war und auch keine entsprechenden Techniken wie z.B. Counseling eingesetzt wurden, hatte die Intervention deutliche positive Folgen für die Selbst- und Außenwahrnehmung der beteiligten Personen.

Ein anderes Beispiel der strukturellen Veränderung mit ökonomischem Hintergrund ist die gezielte Verbesserung der Wohnsituation. Ihre Notwendigkeit zeigt sich auch verstärkt im globalen Norden, besonders in urbanen Gebieten. Obdachlosigkeit ist dort auch durch die Auswirkungen neoliberaler Policies ein immer drängenderes Problem und kann die Ausbreitung von HIV begünstigen. So ist etwa der Zusammenhang zwischen intravenösem Gebrauch von Drogen und Obdachlosigkeit komplex: Menschen werden z.B. obdachlos, weil sie schwer abhängig sind und ihre Miete nicht mehr zahlen können oder sie werden abhängig als Folge der Obdachlosigkeit. So kämpft bspw. die schottische Stadt Glasgow in jüngerer Zeit mit sprunghaft gestiegenen Erkrankungszahlen. Grund dafür ist die Zunahme von Obdachlosigkeit und die wachsende Zahl derer, die sich Kokain injizieren (mehr).

 

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Maßnahmen im Kontext von Harm Reduction

Harm Reduction, also Schadensminderung, stellt ein wichtiges Instrument in der HIV-Prävention bei intravenös Drogennutzenden dar. Ziel ist es, eine Verbesserung des Gesundheitszustands und der sozialen Situation der Betroffenen zu erreichen. Harm Reduction hat viele Facetten. Präventionsmaßnahmen können dabei medizinisch erfolgen, wie die Verteilung von Notfallsets zum Einsatz bei Überdosierungen, aber auch am Verhalten ansetzen, wie in E.3 exemplarisch beschrieben.

Strukturelle Instrumente haben jedoch eine herausgehobene Bedeutung, darunter fallen z.B. Drogenkonsumräume. Dies sind sichere und stigmafreie Rückzugsorte für den Gebrauch. So stehen dort neue Spritzen zur Verfügung, die anschließend sicher entsorgt werden können. Sie stellen ein niedrigschwelliges Angebot für Nutzende dar und bilden einen effektiven Link zu Angeboten der Gesundheitsversorgung. Dennoch sind sie, obwohl in vielen Studien als Erfolgsmodell gepriesen, global noch immer eine Ausnahmeerscheinung.

Eine Analyse für 2018 fand heraus, dass in lediglich drei Weltregionen (Nordamerika, Westeuropa und Australien) offiziell anerkannte Einrichtungen existieren. Zwar gab es auch Meldungen solcher Projekte aus Nordafrika und Lateinamerika, diese befanden sich jedoch ohne staatliche Erlaubnis in einer rechtlichen Grauzone, was die Arbeit erschwert (mehr).

Fragen zu Kapitel E.4 Kapitel F