A.2: Zahlen und Ziele

Blinde Stellen in der Epidemiologie von HIV/Aids gibt es weiterhin, doch hat sich die Datenlage verbessert und der Blick entsprechend ausdifferenziert. So finden sich einerseits zwar allgemeine Trends, doch ließe sich andererseits sagen, dass jedes Land seine eigene Epidemie hat. Innerhalb von Gesellschaften ist das Risiko, sich mit HIV anzustecken oder an Aids zu sterben, ungleich verteilt. Beobachtbar sind auch „Mikro-Epidemien“ durch lokale Dynamiken, bspw. in einzelnen Städten, Landkreisen oder Provinzen.

Der afrikanische Kontinent trägt weiterhin die Hauptlast der Krankheit, vor allem der Süden und Osten. Allein in Südafrika leben über siebeneinhalb Millionen Menschen mit HIV. Auch in Mozambik, Nigeria oder Tansania sind die Zahlen hoch, wie die folgende Infografik zeigt.

Asien ringt ebenfalls mit massiven Auswirkungen des Virus. Dort entfällt der größte Anteil auf Indien, mit 2,1 Millionen HIV-positiven Menschen im Jahr 2017. In China lebten 2018 laut offiziellen Quellen 850.000 HIV-positive Menschen.

Quelle Grafik: UNAIDS  

Was die Infografik nicht darzustellen vermag: Die häufigsten Übertragungswege und der Zugang zu Diagnose und Behandlung unterscheiden sich regional stark, ebenso die Fort- und Rückschritte bei Gegenmaßnahmen.

In Südamerika etwa schien sich die Situation lange zu verbessern. In Brasilien jedoch, das mit fast einer Millionen HIV-positiven Menschen hervorsticht, steigen Infektionszahlen wieder an – auch als Folge verringerter staatlicher Unterstützung für Aufklärungskampagnen. Noch schlimmer ist es im benachbarten Venezuela, dessen kollabierendes Gesundheitssystem zu einer steigenden Zahl von Todesfällen in der HIV-positiven Bevölkerung geführt hat.

In Osteuropa und Zentralasien finden sich teils vergleichbare Dynamiken wieder. Jedoch kommt in der Region bspw. dem intravenösen Drogengebrauch eine deutlich wichtigere Rolle zu. Die Infografik hebt Russland hervor, wo sich 2016 gemäß Schätzungen fast die Hälfte der HIV-Infektionen auf diesem Wege ereignete. Obwohl weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass in Russland die Situation in den letzten Jahren außer Kontrolle geraten sei, sind Daten rar. Die meisten Schätzungen zur Zahl HIV-positiver Menschen vor Ort liegen zwischen einer und eineinhalb Millionen, aber die Dunkelziffer liegt vermutlich wesentlich höher (mehr).

Wenig beachtet aber besorgniserregend ist zudem die Ausbreitung von HIV in Nordafrika und dem Nahen Osten. Die geschätzte Zahl jährlicher Neuinfektionen hat sich dort zwischen 2010 und 2019 um 25 Prozent erhöht, Schlüsselgruppen sind besonders betroffen (mehr).
 


 

Quelle Grafik: Sascha Jaeck und Ramona Granseuer, Nutzungserlaubnis erteilt  

Die Beispiele werfen ein Schlaglicht auf die Uneinheitlichkeit der globalen Lage. Dabei wurde das Ende von Aids bis 2030 von den Vereinten Nationen als eines der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) verankert, worauf UNAIDS mit der sogenannten 90-90-90-Strategie aufbaute. Ihr zufolge sollten bis 2020

  •  90% der mit HIV lebenden Menschen über ihren HIV-Status Bescheid wissen,
  •  90% von ihnen wiederum Zugang zu einer antiretroviralen HIV-Therapie (ART) haben und
  •  90% der Behandelten soll die Viruslast unter die Nachweisgrenze gesenkt werden, auch um die Weitergabe der Infektion zu verhindern.
  •  Häufig wird die Zahlenreihe um eine 0 am Ende ergänzt, für das Ziel von „Null Diskriminierung“.

Von der Erfüllung des 90-90-90-Ziels ist man global betrachtet noch ein ziemliches Stück entfernt. Dies ist auch deshalb hervorzuheben, weil die nächste UNAIDS-Wegmarke 2030 ansteht, mit den Werten 95-95-95 (mehr). Doch momentan zeigen sich noch massive Lücken, auch in Europa (mehr). Zudem gibt es Kritik, dass die Fokussierung auf ein abstraktes Zahlenziel den Blick darauf verstelle, dass hinter den Daten letztlich Menschen stehen. Deren Lebensrealitäten sind sehr divers und die Dynamiken im Bereich HIV/Aids bilden auch größere strukturelle Probleme ab, die Beachtung finden müssen. Beispiele dafür sind, im globalen Norden wie Süden, zunehmende Obdachlosigkeit und privatisierte Gesundheits-leistungen als Folge neoliberalen Rückbaus von Sozialsystemen.

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Kapitel A.3