C.4: Rück- und Fortschritte

Menschen mit HIV/Aids begegnen im Zuge von Stigma, Diskriminierung und Kriminalisierung unterschiedlichen Einschränkungen ihrer Freiheiten und ihres Rechts auf Gesundheit. Ausschlaggebend sind die spezifischen sozialen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen, wie im Folgenden beispielhaft verdeutlicht wird. Kontrastiert werden soll dies mit konstruktiven Gegenmaßnahmen. Modul E wird später Präventionsansätze im Detail aufzeigen.

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Bsp. 1: "War on Drugs"

Der politische Ansatz des „War on Drugs“, dessen Namen US-Präsident Nixon prägte, war von Beginn an gezielt gegen spezifische Bevölkerungsteile gerichtet und rassistisch aufgeladen (mehr). Er dient seither weltweit als Leitbild für repressive Maßnahmen, die eines eint – die Aufweichung rechtsstaatlicher Regelungen, die eigentlich die einzelne Person oder die Zivilgesellschaft schützen sollen. Ohnehin vulnerable Bevölkerungsteile sind hiervon stark betroffen und Menschen mit HIV besonders gefährdet. So ist der „War on Drugs“ ist in vielen Gegenden eine treibende Kraft der Verbreitung des Virus (mehr).
 

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Auf den Philippinen etwa wurde unter Präsident Rodrigo Duterte ab Mitte 2016 ein brutaler staatlicher Feldzug gegen Teile der Bevölkerung gestartet. Gewaltsame Polizei- und Militäraktionen wurden, ebenso wie Selbstjustiz, gefördert - gerade auch spezifisch gegen Drogennutzende. Als Ziel des Vorgehens gab die Regierung v.a. den Kampf gegen Drogenkriminalität und Korruption an. Erfolge, z.B. im Sinne einer Einschränkung großer Drogennetzwerke, brachte die Strategie wohlgemerkt nicht. Stattdessen gab es Verhaftungswellen und bislang tausende Tote, ganz besonders in der ärmeren Bevölkerung.

Als Folge davon sind nun etwa Menschen, die intravenös Drogen gebrauchen, fast nicht mehr für Hilfsangebote zu erreichen. Dies betrifft u.a. den Tausch von benutzten Spritzen gegen saubere. Zum einen haben die Gebrauchenden oftmals Angst und tauchen unter. Zum anderen birgt auch zivilgesellschaftliche Arbeit mittlerweile große Risiken (mehr). Die HIV-Infektionszahlen in dem Land stiegen entsprechend noch schneller an als zuvor.

Andere Staaten haben in den vergangenen Jahren Erfolge durch progressivere Ansätze in der Drogenpolitik erzielen können. In Westeuropa konnte etwa Portugal seine dramatischen Zahlen bei HIV-Neuinfektionen u.a. dank einer im Jahre 2000 erneuerten Drogengesetzgebung extrem senken. Das Land hatte, trotz wirtschaftlicher Zwänge, laut offiziellen Daten schon 2016 zwei Drittel des für 2020 vorgesehenen 90-90-90 Ziels erfüllt (mehr).

In Osteuropa hat wiederum, trotz gewaltsamen Konflikts und ökonomischer Krise, die Ukraine einige beachtenswerte Fortschritte im Umgang mit Drogengebrauch und HIV gemacht. So trägt der Staat, ungeachtet schmerzhafter Kürzungen von Geldern des Globalen Fonds, das momentan größte Programm für Substitutionstherapien in Osteuropa und Zentralasien (mehr).

Bsp. 2: Sexarbeit

Stigmatisierung und Diskriminierung gehören für die meisten SexarbeiterInnen zum Alltag, unabhängig davon, ob sie HIV-positiv oder negativ sind. Ist Sexarbeit illegal, hat dies fatale Folgen für die entsprechenden Personen. Sie verfügen dann über keinen Rechtschutz, sind Gewalt und Benachteiligung machtlos ausgeliefert. Oftmals fehlt der Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung. Nicht alle SexarbeiterInnen haben das gleiche HIV-Risiko oder sind mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert. Auch die Bedingungen innerhalb der Sexarbeit variieren stark und beeinflussen die Gesundheit dieser heterogenen Berufsgruppe. Gender ist auch in diesem Zusammenhang ein zentraler Faktor.

 

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Am Beispiel Indiens lässt sich die Komplexität des Themas exemplarisch aufzeigen. Das Land hat zwar eine vergleichbar niedrige HIV-Prävalenz, aber durch die schiere Bevölkerungsgröße dennoch die drittgrößte Epidemie der Welt. Sexarbeit ist weit verbreitet, allein das All India Network of Sex Workers (AINSW) zählt 5 Millionen Mitglieder (mehr).

An und für sich ist die Profession legal, doch zugleich wird z.B. das Betreiben von Bordellen und „Anwerben“ von KlientInnen als illegal eingestuft. Dieser Umstand macht willkürliche Repression durch Klienten, Mittelsmänner und Polizei wahrscheinlicher. So wird es Menschen in der Sexarbeit zusätzlich erschwert, vor HIV und anderen STIs schützende Maßnahmen wie Kondomnutzung durchzusetzen. Körperliche und emotionale Gewalt spielt eine massive Rolle – eine Studie in Indien fand heraus, dass ein Viertel der Befragten bereits von KlientInnen attackiert worden waren (mehr). Die Dunkelziffer dürfte indes höher liegen.

Durch eine Vielzahl von Projekten, vor allem auch getragen von den Communities selbst, hat sich in einigen Gegenden das Bewusstsein für HIV/Aids verstärkt und der Zugang zu Präventionsmitteln verbessert, sei es zu Kondomen oder neuerdings der PrEP. Einige grundlegende Probleme bestehen jedoch hartnäckig weiter. So sind finanzielle Aspekte vor dem Hintergrund weit verbreiteter Armut ein wirkmächtiger Faktor, wenn etwa KlientInnen für Sex ohne Kondom mehr bezahlen. Auch das Stigma, selbst in der Öffentlichkeit „wie Ware“ behandelt zu werden, trägt zu Infektionen bei (mehr).

Bsp. 3: Informelles Siedeln

Verstädterung ist ein weltweiter Prozess. Besonders gilt dies für Asien (vgl. Abbildung) und den afrikanischen Kontinent, wo sich die Urbanisierung derzeit am intensivsten entwickelt. Nach Schätzungen werden 2020 in Afrika fast eine halbe Milliarde Menschen in städtischen Gebieten zu Hause sein. Entsprechend wachsen damit auch informelle Siedlungen. Stark von ärmeren Bevölkerungsteilen geprägt, weisen sie zumeist keine bis geringe Infrastruktur auf, BewohnerInnen werden von staatlicher Seite oft vernachlässigt und/oder drangsaliert.
 

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In solchen Rahmenbedingungen liegen HIV-Raten oft deutlich über dem nationalen Durchschnitt, besonders bei Mädchen und jungen Frauen. Zugleich sind die Menschen vor Ort generell schwieriger für Gesundheitsprogramme zu erreichen.

Noch komplizierter ist der Zugang zu HIV-Prävention, Diagnose & Behandlung in Camps, die als Folge von Naturkatastrophen oder Flucht vor bewaffnetem Konflikt oder ethnisch motivierten Vertreibungen entstehen. So z.B. in jüngerer Zeit im Kontext des Syrien-Krieges (vgl. Abbildung). Auch Gewaltakte gegen die Rohingya in Südostasien sind ein Beispiel. Hunderttausende Menschen dieser Bevölkerungsgruppe sind seit Mitte 2017 aufgrund von Pogromen in Myanmar nach Bangladesch geflohen. Schätzungsweise über eine Millionen leben mittlerweile in den zwei Camps Kutupalong und Nayapara in Cox´s Bazar. Die Infektionsraten steigen dort. Gründe dafür sind staatliche Restriktionen bei Testung und Therapie in den Camps, weitverbreitete Diskriminierung und Missbrauch, sowie die florierende lokale Drogenökonomie (mehr).
 

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Weltweit setzen sich vermehrt HIV-Projekte mit den im Zuge erhöhter Mobilität und urbaner Marginalisierung entstehenden Problemen auseinander. Ein frühes und zugleich beachtenswertes Beispiel war Mpilonhle-Mpilonde („Quality life – Long Life“) in Südafrika. Angeregt durch die Stadt Johannesburg und durchgeführt von der dortigen Witwatersrand-Universität, nahm das Vorhaben vor allem innerstädtisches, informelles Wohnen in den Fokus. Um Gründe für die steigende Ansteckungsraten zu finden, den genauen Bedarf auszuloten und Programme spezifisch zuschneiden zu können, wurden verschiedene Datenerhebungsformen genutzt (mehr). Von 2005-6 gab es schließlich Interventionen, bspw. in Form lokaler „Health Clubs“, die die identifizierten Probleme mit der Community selbst angingen und langfristig Wirkung entfalteten.

Kapitel D