F.1: Am Scheideweg

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Die vorangegangenen Kapitel zeigen, dass die globalen Bemühungen gegen HIV abermals an einen Scheideweg gelangt sind. UNAIDS spricht nun von einer „Präventionskrise“ (mehr). Millionen Menschen fehlt immer noch ein adäquater Zugang zu Tests & Therapie. Zugleich verändert sich die globale Epidemie, was neue Antworten erfordert.

Eine Welle autoritärer Politikgestaltung hat in den vergangenen Jahren Länder in allen Weltregionen erfasst. Ihre Dynamiken befördern in vielen Fällen die Ausbreitung von HIV, etwa durch die Isolation bestimmter Gesellschaftsgruppen durch denunzierende Propaganda oder sogar Kriminalisierung. Regional verändern sich die Verbreitungswege auch durch Globalisierungskräfte. So hat z.B. die wachsende Bedeutung Ostafrikas als Drehkreuz für den internationalen Drogenhandel in Ländern wie Kenia und Tansania den Bedarf an Harm Reduction deutlich erhöht (mehr).

Zudem bedeuten Erfolge der Vergangenheit auch Herausforderungen für die Gegenwart: Immer mehr Menschen mit HIV werden älter - mit Blick auf andere medizinischen Bedürfnisse und sich veränderndes Stigma muss die globale Gemeinschaft darauf reagieren.
 

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Auch die sich seit 2019 vollziehende globale Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 hat Einfluss auf die HIV-Arbeit. Dabei betreffen vor allem die sozialen, politischen und ökonomischen Nebeneffekte der Pandemie viele Menschen mit HIV besonders. Analysen erwarten bspw. dramatische Rückschläge in der Bekämpfung von HIV, aber auch TB und Malaria für die kommenden Jahre durch Unterbrechungen bei der Prävention, Diagnose und Behandlung (mehr).

Weltweit spüren vor allem die Ärmsten und sozial Schwachen die Folgen von COVID-19 und entsprechenden Gegenmaßnahmen. Ausgangssperren und wirtschaftlicher Kollaps machen es Millionen Menschen unmöglich, ihr benötigtes Tageseinkommen zu generieren (mehr). Medizinische Behandlung allgemein ist zudem erschwert, da Reisen unmöglich oder Versorgungszentren geschlossen sind.

Für HIV-Schlüsselgruppen die mit Stigma und Diskriminierung zu kämpfen haben, ist diese Situation zusätzlich gefährlich, etwa Obdachlose und Menschen in der Sexarbeit (mehr) oder die LGBTQ-Gemeinschaft (mehr). Zugleich hat die Unterbrechung von Lieferketten verstärkt Stock-Outs zur Folge. Dies gilt nicht nur für HIV-Medikamente, sondern z. B. auch Kondome (mehr).
 

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Das Engagement gegen HIV kann aber unter Umständen von den aktuellen Debatten auch profitieren, darunter z.B. die globale Diskussion zu Universal Health Coverage (UHC) und die Diskussion über Transparenz und Fairness von Medikamentenpreisen. Eine wirklich funktionierende allgemeine Gesundheitsversorgung würde im Bereich der strukturellen Prävention einen gravierenden Unterschied machen können. WHO-Chef Dr. Tedros Ghebreyesus umriss dies im Jahr 2018 (mehr): „Wir haben einem schwulen Mann nicht wirklich geholfen, wenn wir ihm PrEP geben, aber seine Depression unbehandelt lassen. Wir haben einer Sexarbeiterin nicht wirklich geholfen, wenn wir ihr ein Screening für STIs geben, aber keines für Krebs.“

Die Einbettung der HIV-Arbeit in den Rahmen von UHC hat bereits begonnen (mehr). Sie wird aber nur erfolgreich sein können, wenn die gravierenden Finanzierungslücken für UHC geschlossen werden.

Große Hoffnungen werden vielfach in medizinische Lösungen durch Fortschritte in Forschung und Entwicklung gesteckt, etwa durch Gentherapie. Dabei wird schnell übersehen, dass es augenblicklich vor allem darum geht, die bereits bestehenden Instrumente und Strategien für alle verfügbar zu machen.

Dies zeigt aktuell das Beispiel der Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Untersuchungen verdeutlichen, dass schon in den USA der Zugang zu dieser Präventionsmöglichkeit sehr ungleich ist. So werden dort bei den Männern Afro-Amerikaner und Latinos benachteiligt (mehr). Frauen haben generell schlechteren Zugang. Und nur 1% der PrEP-Verschreibungen in den USA entfiel auf afroamerikanische BürgerInnen (mehr). Global gesehen wird also für die flächendeckende Einführung eine Vielzahl von Hürden beiseite geräumt werden müssen, von Diskriminierung hin zu den Kosten (mehr).

Kapitel F.2

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