F.2: Hilfestellung für Projekt-Planung und -Arbeit

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HIV ist in Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe ein etabliertes Arbeitsfeld. Einige der bereits bekannten Herausforderungen, wie Preishürden und Stigma, drängen weiterhin. Andere sind jedoch neu dazugekommen, bspw. die Bedürfnisse älterer Menschen mit HIV. 

 

„Kenne Deine Epidemie, dann weißt du, wie du handeln musst“

Das Bild der globalen HIV-Epidemie hat sich ausdifferenziert, was auch für Gegenmaßnahmen gelten muss. Die Fachzeitschrift LANCET konstatierte schon 2008: „Die Ära standardisierter globaler Leitlinien für die Prävention ist tot“ (mehr). UNAIDS fand dafür den Slogan “Know your epidemic, know your response“. Gesundheitsprojekte sollten daher…

  • die genauen Ursachen, Übertragungswege, Schlüsselgruppen und Auswirkungen der HIV-Verbreitung in ihrem Arbeitsumfeld kennen. Dies hilft auch, lokale Besonderheiten zu erkennen und darauf zu reagieren. So lassen sich bspw. am Viktoriasee, der an Kenia, Tansania und Uganda grenzt, trotz vielerlei Präventions-bemühungen immer noch hohe HIV-Infektionsraten feststellen. Ein Auslöser ist eine spezifische Praxis von „transactional sex“ innerhalb der mobilen Gemeinschaften von Fischern (mehr).
  • auch etablierte Annahmen in Frage stellen. Gerade weil HIV ein vielfältiges Phänomen ist, lohnt sich eine genaue Betrachtung. So stellte zum Beispiel ein Forscherteam aus Uganda und England 2019 fest, dass sogenannte „HIV Hot Spots“, also lokale Gemeinschaften mit sehr hohen Infektionsraten, das Virus nicht notwendigerweise in ihr Umfeld übertragen (mehr).
  • Datenerhebung gezielt verbessern. Seit Beginn der globalen HIV-Verbreitung ist die Datenlage deutlich besser geworden. Dennoch gibt es weiterhin blinde Flecken, besonders bei den Schlüssel-gruppen. Ein Beispiel sind stark mobile Bevölkerungsteile, etwa Wanderarbeiter. Wichtig sind entsprechend zugeschnittene Ansätze, z.B. bei der Testung, und zudem die Erfahrungen der Communities vor Ort. Denn Infos wie die Häufigkeit von Stock-Outs bei Arzneimitteln etwa erhält man von staatlicher Seite zumeist nicht verlässlich.
  • eine ganzheitliche Versorgung von Menschen mit HIV anstreben. Dies betrifft nicht nur andere Infektionskrankheiten, wie Hepatitis C oder TB, sondern bspw. auch Aspekte wie mentale Gesundheit (mehr). UHC ist das Ziel!
 

Schlüsselgruppen einbeziehen

Gemäß dem bekannten Slogan „Nichts über uns ohne uns“ müssen HIV-Projekte die adressierten Schlüsselgruppen aktiv einbeziehen. Dabei gilt zu beachten, dass…

  • dies nicht bedeutet, bestimmte Bevölkerungsgruppen isoliert zu begleiten. Im schlechtesten Falle befördert dies nämlich Stigma. Stattdessen sind ganzheitliche Ansätze vonnöten, die zugleich unterschiedliche Lebensrealitäten im Blick haben und berücksichtigen.
  • die Logik vorherrschen sollte, „die letzte Meile zuerst zu gehen“ („putting the last mile first”). Die Bedürfnisse der am stärksten marginalisierten Teile der Bevölkerung sollten an Anfang und Ende der globalen Antwort stehen. Gerade auch im Kontext von Universal Health Coverage (mehr).
  • es bereits weltweit positive Ansätze gibt, von denen sich lernen lässt. So sind Schlüsselgruppen wie Menschen in Haft, SexarbeiterInnen, Drogengebrauchende, Transgender, sowie MSM zwar oft schwierig erreichbar. Die WHO veröffentlichte aber 2017 speziell zu diesen Schlüsselgruppen ein umfangreiches Kompendium mit Fallbeispielen und Best Practice-Ausführungen (mehr).
  • ein offenes Ohr in der Community die Effektivität von Maßnahmen erhöhen kann. In einer Studie zur Anwendung von PrEP in Malawi, gab bspw. die Mehrheit der SexarbeiterInnen in Interviews überraschenderweise an, dass ihnen Prävention lieber in den bereits bekannten Familienplanungszentren, als in den vermeintlich „bequemeren“ mobilen Zentren nahe ihrer Wohn- oder Arbeitsorte angeboten werden solle (mehr).
  • technischer Fortschritt ein wichtiger Faktor sein kann, etwa die Nutzung spezieller Apps. Diese bieten gerade in konservativ-geprägten Ländern mit stark ausgeprägtem Stigma neue Möglichkeiten aber auch Gefahren für Schlüsselgruppen. Technische Neuerungen können zum einen HIV-Neuinfektionen fördern, bspw. wenn geringe Sexualaufklärung auf neue Freiheiten in Partnerschafts-Portalen trifft (mehr). Sie können aber auch den Zugang zu Diagnose und Therapie verbessern, etwa indem passende AnsprechpartnerInnen vermittelt werden und Nutzende emoional gestärkt werden. Dies zeigen z.B. digitale Gesundheitsangebote für Transgender in Indien (mehr).
 

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Prävention (wieder) stärken

Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, wie wichtig Präventionsbemühungen gegen HIV sind und wie sie zugleich verstärkt unter Druck geraten, inhaltlich und finanziell. Daher gilt es für EZ und humanitäre Hilfe…

  • Programme gegen Stigma und Diskriminierung auszubauen und als längerfristige Verpflichtung zu begreifen. Adressiert werden sollten dabei sowohl HIV-negative, als auch positive Menschen.
  • auch innerhalb der eigenen Organisation die Probleme von Stigma und Diskriminierung zu adressieren. Denn diese können sich gerade im Kontext von Gesundheitsversorgung in vielfacher Art und Weise niederschlagen (mehr).
  • Maßnahmen auszubauen, die in staatlicher Förderung zunehmend einen schweren Stand haben. Ein Paradebeispiel dafür sind Projekte im Bereich Harm Reduction. Und dies, obwohl in vielen Studien ihre Kosteneffizienz und Erfolge nachgewiesen wurden, gerade bzgl. HIV-Eindämmung (mehr). Schadensminderung wird in vielen Regionen noch immer vernachlässigt und gerät zudem schnell durch innenpolitische Dynamiken unter Druck.
  • verstärkt in größeren Strukturen zu denken. Dies bedeutet, dass zwar bspw. Gesundheitsaufklärung weiterhin relevant ist, aber die Situation bestimmter Bevölkerungsteile erst verbessert werden kann, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Angegangen werden müssen also bspw. auch Policies und Gesetze – praktische Tipps dafür finden sich bspw. bei UNAIDS (mehr).
 

Vernetzung vorantreiben

Mit der Abkehr vom „Silodenken“ in einzelnen Krankheiten (etwa Malaria) oder Kategorien (etwa Infektionskrankheiten) und der Hinwendung zu Konzepten mit weiterem Blick (UHC, Primary Health Care…) muss intensivierte Vernetzung einhergehen. Dabei gilt es in der HIV-Arbeit mehr Brücken zu schlagen zu Akteuren, die sich mit Themen auseinandersetzen wie…

  • nicht-übertragbare Krankheiten. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der raschen Ausbreitung von NCDs in Ländern niedrigen und mittleren Einkommens.
  • mentaler Gesundheit. Das ist bspw. verstärkt vonnöten, wenn HIV im Kontext von Traumata durch innerstaatliche Gewalt und/oder Vertreibung auftritt.
  • sozialer Ungleichheit. Gender-Ungerechtigkeit ist bspw. eine zentrale Triebfeder der HIV-Verbreitung in vielen Regionen und muss nachhaltig angegangen werden.
  • Stadt- & Wirtschaftsentwicklung. Umwälzungen wie Urbanisierung und Deindustrialisierung haben weltweit transformierendes Potenzial für die Arbeit gegen HIV, positiv wie negativ.
  • Klimawandel. Auch die HIV-Arbeit muss sich den Realitäten menschengemachter Klimaveränderung stellen, z.B. den Auswirkungen von Extremwetterereignissen.
  • grundlegenden politischen Freiheiten. In vielen Ländern schrumpfen Räume für zivilgesellschaftliche Arbeit und kritische Rede. Dies betrifft das Engagement gegen HIV unmittelbar.

Kapitel F.3