A.2: Diabetes im globalen Süden

Zwischen 1980 und 2014 hat sich die Zahl der Menschen mit Diabetes vervierfacht. Dieser Anstieg hängt mit Bevölkerungswachstum und zunehmender Lebenserwartung zusammen, aber auch mit verstärktem Screening und dem Absenken von Schwellenwerten bei der Diagnose.

Den wohl größten Einfluss besitzen jedoch die massiven wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen in vielen Ländern niedrigen und mittleren Einkommens.

Urbanisierung und Freihandel als Triebfedern

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Obwohl auch in einigen ländlichen Gebieten steigende Erkrankungsraten zu beobachten sind, ist Diabetes weltweit vor allem eine städtische Krankheit. Dies gilt besonders für den afrikanischen Kontinent, wo sich die Urbanisierung derzeit am intensivsten entwickelt. Nach Schätzungen werden dort bis 2020 fast eine halbe Milliarde Menschen in städtischen Gebieten zu Hause sein. Das neue Lebensumfeld bringt jedoch gravierende Änderungen mit sich, unter anderem bei Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten.

Eine weitere globale Konstante der letzten Dekaden war die Intensivierung von Freihandel, was auch die Entstehung von Diabetes förderte. Nachdem Mexiko 1994 Teil des NAFTA wurde, schossen US-Investitionen in die lokale Nahrungsmittelindustrie massiv in die Höhe. Der größte Anteil ging in die Produktion von industriell verarbeitetem Essen. Dies veränderte schnell das lokale Angebot, befeuert auch durch aggressives Marketing und mit verheerenden Folgen: Bereits zwischen 1993 und 1999 nahm die Diabetes-Prävalenz in Mexiko um fast ein Drittel zu.

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Medizinische Herausforderungen im globalen Süden

In vielen Ländern des globalen Südens erfolgt eine Diabetes-Diagnose erst spät oder gar nicht. Dies kann zu massiven Komplikationen bei den Betroffenen führen. In Südafrika ist Diabetes einer der drei häufigsten Gründe für Blindheit, mit über 8.000 Betroffenen jährlich. 2015 wurde zudem weltweit etwa alle 20 Sekunden eine Amputation aufgrund von Diabetes vorgenommen, teils mit dramatischen Folgen. So starben in Barbados  zeitweise über die Hälfte der PatientInnen an den Folgen des Eingriffs.

Was die Situation im globalen Süden zusätzlich verschärft, ist die weite Verbreitung von Infektionskrankheiten wie den „großen Drei“ (Tuberkulose, HIV/Aids & Malaria), Formen von Hepatitis, Leishmaniose oder Durchfallerkrankungen. Mittlerweile belasten so in vielen Regionen übertragbare und nicht-übertragbare Krankheiten als doppelte Bürde die Versorgungssysteme. Zugleich beeinflussen sich die Erkrankungen oft gegenseitig. Man geht beispielsweise davon aus, dass DiabetikerInnen ein dreifach erhöhtes Tuberkulose-Risiko haben.

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Soziale und finanzielle Kosten

Soziale Ungleichheit bedingt auch Ungleichheit im Bereich Gesundheit. Dies gilt für Diabetes sowohl innerhalb vieler Gesellschaften als auch zwischen globalem Norden und Süden. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Kindes mit Diabetes mellitus Typ 1 in ländlichen Gebieten Mozambiks liegt unter der eines Kindes in den Vereinigten Staaten vor der Entdeckung von Insulin in den 1920er Jahren.

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Arme Menschen sind mittlerweile nicht nur verstärkt von Diabetes betroffen, sondern erhalten zumeist auch eine schlechtere Therapie. Neben Frauen und Kindern erkranken viele ältere Menschen, die in vielen Gesellschaften eine wichtige soziale Funktion haben. So bedroht die Erkrankung in manchen Gegenden auch das soziale Gefüge.

Hinzu kommen gewaltige finanzielle Auswirkungen. Eine Studie schätzte die direkten und indirekten Kosten durch Diabetes allein für die Region Lateinamerika/Karibik im Jahr 2015 auf über 123 Milliarden US-Dollar. Da viele PatientInnen in ärmeren Ländern den Löwenanteil für Medikamente und Arztbesuche selbst tragen müssen, kann dies den Ruin für ganze Familien bedeuten.

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Kapitel A.3