F.3: Hilfestellung für Advocacy-Tätigkeiten

Diabetes ist im globalen Norden eine bekannte Krankheit. Vielen wichtigen EntscheidungsträgerInnen ist die Bedeutung in Industrieländern geläufig, nicht jedoch die weite Verbreitung der Krankheit und die Notwendigkeit von Maßnahmen im globalen Süden.

 

Narrativ ändern

Kurz gesagt: der globale Kampf gegen Diabetes bedarf eines neuen Framings. Dafür ist eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten denkbar, so lassen sich

  • überholte Vorstellungen („westliche Wohlstandskrankheit“) mit aktuellen Daten widerlegen, um Diabetes als ein Nord und Süd verbindendes Phänomen in der Debatte zu verankern
  • die Themen Diabetes und Universal Health Coverage (UHC) verknüpfen. UHC kann einen starken Effekt auf nationale Diabetes-Programme haben, wie bspw. die WHO für Thailand aufzeigt. (mehr) Wie sich Gesundheitssysteme speziell für die Bewältigung nicht-übertragbarer Krankheiten rüsten können, vermittelt unter anderem das Innovative Care for Chronic Conditions Framework (ICCCF) der Organisation (mehr).
  • vielfältige ökonomische Auswirkungen auch für den globalen Süden aufzeigen. In Ländern wie Bangladesch oder den Philippinen könnten bspw. nicht-übertragbare Krankheiten laut Untersuchungen bald einen ähnlich hohen Anteil an der gesamten Krankheitslast haben wie in den USA. Die PatientInnen werden jedoch im Durchschnitt deutlich jünger sein und fehlen somit auch als benötigte Wirtschaftskräfte (mehr).
  • die Diskussionen um Diabetes nutzen, um für eine Abkehr vom „Silo-Denken“ einzutreten. Gerade die Ausbreitung von Diabetes zeigt, dass vertikale Ansätze nicht anzuraten sind und zum Beispiel getrennte Strategien für übertragbare und nicht-übertragbare Krankheiten negative Nebeneffekte besitzen können (mehr).
  • nicht-übertragbare Krankheiten wie Diabetes in den Kontext von Global Health Security setzen (mehr).

 

Für notwendige Innovation…

Diabetes ist keine vernachlässigte Krankheit wie etwa Tuberkulose oder Malaria. Die Forschungsaktivitäten orientieren sich jedoch vor allem an den Bedürfnissen von PatientInnen im globalen Norden. NGOs sollten daher für eine Forschungsförderung in Bereichen eintreten, die für PatientInnen im globalen Süden essentiell sind. Dazu zählen zum Beispiel

  • temperaturstabiles Insulin
  • Instrumente zum Self-Monitoring (Blutzucker, Blutdruck…)
  • digitale Hilfsmittel
  • Anwendungsmöglichkeiten neuartiger Instrumente wie Insulinpumpen im Kontext geringer Ressourcen
  • epidemiologische Grundlagen im globalen Süden 

 

…und für besseren Zugang

Oft steht der Forschungsfortschritt mehr im öffentlichen Rampenlicht als die Probleme beim Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten. Beides ist allerdings eng miteinander verknüpft. Advocacy-Arbeit muss in diesem Kontext gerade bei Diabetes auch grundlegende Themen ansprechen wie etwa

  • die Rolle von Hochschul-Forschung: Die Entwicklung von Insulin fand an der University of Toronto statt. Um das Produkt möglichst vielen PatientInnen zugänglich zu machen und ein Monopol zu verhindern, übergaben die Entdecker das Patent an die Hochschule. Sie standen einer kommerziellen Nutzung generell kritisch gegenüber (mehr).
  • die Rolle von kreativer Forschung: Auf der Suche nach günstigen und effektiven Lösungen bei Diabetes-Komplikationen geht Malaysia einen innovativen Weg bei der Wundversorgung - den Einsatz steriler Larven einer lokalen Fliegenart. Mittlerweile wird der preisgekrönte Ansatz auch in ländlichen Gegenden in Primary Health Care Centers mit Erfolg angewandt (mehr).
  • die Rolle von Zwangsmaßnahmen: Bei Diabetes-Medikamenten und auch bei den Therapien zu vielen anderen nicht-übertragbaren Krankheiten hat keine „Preisrevolution“ stattgefunden, wie sie für einige Infektionskrankheiten errungen wurde. Die Arzneimittel sind deshalb nach wie vor hochpreisig (mehr). So scheiterte etwa 2016 der Versuch, eine Zwangslizenz für den Blutzuckersenker Saxagliptin in Indien zu erwirken (mehr).

 

„Naming and shaming“

Die Globalisierung von Diabetes ist eine logische Konsequenz komplexer, struktureller Missstände aber auch bewusst handelnder Akteure. In diesem Kontext müssen Verursacher benannt werden, denn

  • Diabetes ist letztlich auch ein Thema globaler Gerechtigkeit. Besonders deutlich wird das am Beispiel des  mexikanischen Dorfes San Cristóbal de las Casas, wo der Mangel an sauberem Wasser und eine örtliche Softdrink-Fabrik Coca-Cola zum Hauptgetränk gemacht haben (mehr).
  • Wirtschaftsakteure aus dem globalen Norden nehmen häufig Länder des globalen Südens mit ihren Marktstrategien in den Fokus. Stark zuckerhaltige Nahrungsmittel und Getränke werden gezielt als Alternative zu traditioneller Kost platziert und massiv beworben.  
  • zivilgesellschaftliche Akteure sehen sich vielerorts in ihrer Arbeit großen Risiken ausgesetzt (Stichwort „closing spaces“). Wie das Beispiel Kolumbiens zeigt, betrifft dies auch den Kampf gegen nicht-übertragbare Krankheiten (mehr).

Kapitel F.4